Einstimmigkeit für WEG-Umlaufbeschlüsse erforderlich
Ein Umlaufbeschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist laut LG Berlin (Az.: 85 S 59/23 WEG) ungültig, wenn er nicht einstimmig gefasst wurde, da die gesetzliche Grundlage eindeutige Einstimmigkeit erfordert, besonders wenn über finanzielle Nachschüsse entschieden wird. Die Festlegung, dass eine Mehrheitsentscheidung ausreichen könnte, muss explizit getroffen und im Beschluss deutlich zum Ausdruck gebracht werden.
Übersicht
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Ein Umlaufbeschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft bedarf der Einstimmigkeit, um gültig zu sein.
- Eine Ausnahme, bei der eine Mehrheitsentscheidung genügt, muss im Vorfeld klar und eindeutig beschlossen werden.
- Im konkreten Fall war die Bedingung der Einstimmigkeit nicht erfüllt, was den Umlaufbeschluss ungültig machte.
- Der angefochtene Beschluss bezog sich auf finanzielle Nachschüsse und Anpassungen für das Jahr 2021.
- Die Kammer des LG Berlin sieht die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts als offensichtlich erfolglos an.
- Das Einstimmigkeitserfordernis soll den Minderheitenschutz innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft gewährleisten.
- Beschlüsse müssen aus sich heraus verständlich und eindeutig sein, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der Eigentümer ankommt.
- Ein Beschluss, der eine Mehrheitsentscheidung für Umlaufbeschlüsse vorsieht, muss restriktiv ausgelegt werden, um den Minderheitenschutz nicht zu unterlaufen.
- Die Wohnungseigentümer können jederzeit einen einstimmigen Umlaufbeschluss fassen, ein vorheriger Beschluss hierüber kann aber sinnvoll sein.
- Die Ungültigkeit des Beschlusses basiert auf dem Fehlen der Einstimmigkeit und der mangelnden Klarheit zur Anwendung des Mehrheitsprinzips.
Einstimmigkeit bei Umlaufbeschlüssen
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist die Willensbildung bei wichtigen Entscheidungen ein zentraler Aspekt. Das Wohnungseigentumsgesetz regelt die Anforderungen an die Beschlussfassung. Grundsätzlich erfordert ein Umlaufbeschluss die Einstimmigkeit aller Wohnungseigentümer, um wirksam zu werden. Dieses Prinzip dient dem Minderheitenschutz und soll eine ausgewogene Interessenabwägung sicherstellen.
Eine Abweichung von der Einstimmigkeitsregel ist zwar möglich, muss aber vorab ausdrücklich beschlossen werden. Nur wenn die Wohnungseigentümer zuvor festgelegt haben, dass für einen bestimmten Beschlussgegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichen soll, sind Mehrheitsbeschlüsse im Umlaufverfahren zulässig. Diese Sonderregelung bedarf einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall.
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➜ Der Fall im Detail
Der Streit um den Umlaufbeschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft
Im Zentrum des Falles steht ein Umlaufbeschluss einer Wohnungseigentümergemeinschaft, der ohne die erforderliche Einstimmigkeit gefasst wurde. Die Auseinandersetzung entbrannte, nachdem eine Klägerin gegen einen Beschluss Berufung einlegte, der im Umlaufverfahren zur Anpassung der Vorschüsse aus den Einzelabrechnungen für das Jahr 2021 gefasst worden war. Diese Entscheidung war notwendig geworden, da zum Zeitpunkt einer Eigentümerversammlung die Heizkostenabrechnung noch ausstand und daher keine finale Entscheidung über Abrechnungsspitzen getroffen werden konnte.
Die juristische Auseinandersetzung und das rechtliche Problem entzündeten sich daran, ob der gefasste Umlaufbeschluss ohne Einstimmigkeit der Eigentümer gültig sein kann. Die Klägerin argumentierte, dass laut § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG für solche Beschlüsse Einstimmigkeit erforderlich sei, eine Regelung, die die individuellen Mitgliedschaftsrechte innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft schützen soll.
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin
Das Landgericht Berlin wies die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg zurück und bestätigte somit, dass der angefochtene Umlaufbeschluss ungültig sei, da er nicht einstimmig gefasst wurde. Die Begründung des Gerichts stützte sich darauf, dass nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG das Einstimmigkeitserfordernis einem Beschluss ohne vorherige Aussprache gerecht werde. Eine Ausnahme hierfür, die eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen zulässt, müsste im Beschluss deutlich gemacht und von den Wohnungseigentümern explizit so beschlossen werden.
Das Gericht legte dar, dass Beschlüsse „aus sich heraus“ auszulegen sind, wobei der Wortlaut und der objektive Sinn maßgeblich seien. Der ursprüngliche Beschluss enthielt keinen Hinweis darauf, dass eine Mehrheitsentscheidung für den spezifischen Umlaufbeschluss ausreichend sei. Der Gebrauch des Wortes „kann“ im Beschlusstext bedeutete lediglich, dass über Abrechnungsspitzen entschieden werden kann, nicht aber, dass dafür eine einfache Mehrheit genügt.
Konsequenzen der gerichtlichen Entscheidung
Die Konsequenzen der Entscheidung liegen vor allem im Verfahrensrecht der Wohnungseigentümergemeinschaften. Sie unterstreicht die Bedeutung der Einstimmigkeit bei Umlaufbeschlüssen und betont den Schutz der Minderheitenrechte innerhalb der Gemeinschaft. Das Gericht machte deutlich, dass eine Abweichung vom Einstimmigkeitsprinzip klar und unmissverständlich kommuniziert werden muss, um gültig zu sein.
Die Implikationen für die Praxis sind weitreichend. Wohnungseigentümergemeinschaften müssen sich bewusst sein, dass für die Gültigkeit von Umlaufbeschlüssen strenge Anforderungen gelten. Das Urteil stärkt den Schutz der Rechte einzelner Wohnungseigentümer und sorgt dafür, dass Entscheidungen transparent und unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben getroffen werden müssen. Es mahnt zur Vorsicht bei der Formulierung und Annahme von Beschlüssen im Umlaufverfahren und hebt die Bedeutung der Einstimmigkeit als Kernprinzip der Entscheidungsfindung in Wohnungseigentümergemeinschaften hervor.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was bedeutet Einstimmigkeit bei Umlaufbeschlüssen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft?
Einstimmigkeit bei Umlaufbeschlüssen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft bedeutet, dass alle im Grundbuch eingetragenen Eigentümer dem Beschluss zustimmen müssen, damit dieser gültig ist. Im Gegensatz zu Beschlüssen in einer Eigentümerversammlung, wo je nach Beschlussgegenstand unterschiedliche Mehrheiten ausreichen können, ist beim Umlaufverfahren immer die Zustimmung aller Eigentümer erforderlich.
Der Grund dafür liegt darin, dass beim Umlaufbeschluss keine Möglichkeit zur Diskussion und Meinungsbildung wie in einer Versammlung besteht. Daher soll durch das Einstimmigkeitsprinzip sichergestellt werden, dass wirklich alle Eigentümer mit der Entscheidung einverstanden sind.
Allerdings wurde mit der WEG-Reform 2020 die Möglichkeit geschaffen, dass die Eigentümer für konkrete Beschlussgegenstände vereinbaren können, dass ein Umlaufbeschluss auch mit Stimmenmehrheit gefasst werden kann. Dafür ist aber zunächst ein einstimmiger Beschluss der Gemeinschaft notwendig, der diese Möglichkeit für bestimmte Themen eröffnet.
Solange eine solche Öffnungsklausel nicht besteht, bedarf jeder Umlaufbeschluss weiterhin der ausdrücklichen Zustimmung aller Wohnungseigentümer. Verweigert auch nur ein Eigentümer die Zustimmung oder beteiligt sich nicht, kommt der Beschluss nicht zustande.
Warum ist ein Umlaufbeschluss ohne Einstimmigkeit ungültig?
Ein Umlaufbeschluss ohne Einstimmigkeit ist aus folgenden Gründen ungültig:
- Fehlende Aussprache: Bei einem Umlaufbeschluss findet keine Eigentümerversammlung statt, in der die Eigentümer die Möglichkeit zur Diskussion und zum Meinungsaustausch haben. Das Einstimmigkeitserfordernis soll sicherstellen, dass wirklich alle Eigentümer mit der Entscheidung einverstanden sind, da keine Gelegenheit zur Aussprache besteht.
- Gesetzliche Vorgabe: Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) schreibt vor, dass Umlaufbeschlüsse grundsätzlich der Zustimmung aller Wohnungseigentümer bedürfen. Nur wenn zuvor in der Eigentümerversammlung für einen konkreten Beschlussgegenstand vereinbart wurde, dass eine Mehrheit ausreicht, kann von der Einstimmigkeit abgewichen werden.
- Verbraucherschutz: Das Einstimmigkeitsprinzip dient auch dem Verbraucherschutz, da beim Umlaufbeschluss viele Formalien und Fristen entfallen, die bei einer Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung einzuhalten wären. Die strengen Anforderungen sollen die Eigentümer davor schützen, dass weitreichende Entscheidungen ohne ausführliche Erörterung getroffen werden.
- Nichtigkeit bei fehlender Zustimmung: Verweigert auch nur ein einziger Eigentümer die Zustimmung oder beteiligt sich nicht am Umlaufverfahren, ist der Beschluss nichtig. Er entfaltet dann keinerlei Rechtswirkung. Die Gemeinschaft muss in diesem Fall eine Eigentümerversammlung einberufen, um eine gültige Entscheidung herbeizuführen.
Zusammengefasst soll das gesetzlich vorgeschriebene Einstimmigkeitsprinzip bei Umlaufbeschlüssen die Eigentümer davor bewahren, dass einzelne gegen ihren Willen durch Mehrheitsentscheidungen überstimmt werden, ohne dass zuvor eine eingehende Diskussion stattgefunden hat. Nur wenn sich ausnahmslos alle Eigentümer mit dem Beschlussantrag einverstanden erklären, ersetzt die einstimmige Zustimmung die Aussprache in einer Versammlung.
Wie werden Umlaufbeschlüsse in einer Wohnungseigentümergemeinschaft gefasst?
Hier eine Zusammenfassung, wie Umlaufbeschlüsse in einer Wohnungseigentümergemeinschaft gefasst werden:
- Antragstellung: Jeder Wohnungseigentümer, der Verwalter oder der Verwaltungsbeirat kann einen Beschlussantrag für einen Umlaufbeschluss formulieren und an alle Eigentümer versenden. Der Antrag muss klar als Beschluss gekennzeichnet sein und alle relevanten Informationen enthalten.
- Form der Abstimmung: Seit der WEG-Reform 2020 reicht für die Zustimmung der Eigentümer die Textform aus, z.B. per E-Mail, Post oder Messenger-Nachricht. Zuvor war die Schriftform mit eigenhändiger Unterschrift erforderlich.
- Frist: Im Antrag sollte eine angemessene Frist gesetzt werden, innerhalb derer die Eigentümer über den Beschluss abstimmen müssen. Nach Ablauf der Frist wird das Abstimmungsergebnis festgestellt.
- Einstimmigkeit: Grundsätzlich ist für einen wirksamen Umlaufbeschluss weiterhin die Zustimmung aller Eigentümer notwendig. Verweigert auch nur ein Eigentümer die Zustimmung oder beteiligt sich nicht, kommt der Beschluss nicht zustande.
- Mehrheitsbeschluss als Ausnahme: Seit der Reform können die Eigentümer für konkrete Beschlussgegenstände vereinbaren, dass im Umlaufverfahren die Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreicht. Dafür ist aber zunächst ein einstimmiger Beschluss in einer Eigentümerversammlung erforderlich.
- Bekanntgabe: Der gefasste Umlaufbeschluss wird wirksam, sobald das Abstimmungsergebnis festgestellt und allen Eigentümern schriftlich mitgeteilt wurde, z.B. per Rundschreiben. Ab dann beginnt auch die einmonatige Anfechtungsfrist zu laufen.
Im Vergleich zur Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung entfällt beim Umlaufbeschluss die Möglichkeit zur Diskussion. Dafür ist er aber organisatorisch einfacher, gerade für kleine WEGs oder eilbedürftige Entscheidungen. Durch die Gesetzesreform wurden Umlaufbeschlüsse etwas vereinfacht, bleiben aber wegen des Einstimmigkeitsprinzips eine Ausnahme.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG: Regelt die Einstimmigkeit bei Beschlüssen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft und ist zentral, da es um die Gültigkeit eines Umlaufbeschlusses geht, der nicht einstimmig gefasst wurde. Dieser Paragraph stellt die Grundlage für das Erfordernis der Einstimmigkeit dar, um die Rechte aller Eigentümer zu wahren.
- § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG: Erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen eine Mehrheitsentscheidung bei Beschlüssen. Dieser Paragraph ist relevant für das Verständnis der Ausnahmen vom Einstimmigkeitsprinzip und unter welchen Bedingungen eine Mehrheit ausreichen kann.
- § 522 Abs. 2 ZPO: Betrifft die Zurückweisung einer Berufung ohne mündliche Verhandlung bei offensichtlich fehlender Erfolgsaussicht. Dieser Paragraph ist wichtig, um den prozessualen Rahmen und die Entscheidungsgrundlage des Gerichts zu verstehen, warum die Berufung als erfolglos eingestuft wurde.
- Minderheitenschutz: Obwohl kein spezifischer Paragraph genannt wird, ist das Prinzip des Minderheitenschutzes im WEG-Recht implizit wichtig, da es das Einstimmigkeitserfordernis begründet und darauf abzielt, die Interessen jedes einzelnen Wohnungseigentümers zu schützen.
- Auslegung von Beschlüssen: Die Auslegung, wie ein Beschluss zu verstehen ist, basiert auf den Grundsätzen der objektiven Auslegung. Dies ist relevant für das Verständnis, warum der angefochtene Beschluss als ungültig angesehen wurde, da er nicht eindeutig das Mehrheitsprinzip für den spezifischen Fall vorsah.
- Berufungsrecht und Streitwertfestsetzung: Die Regeln um Berufung und Streitwertfestsetzung sind implizit wichtig, da sie die Rechtsmittel und den finanziellen Rahmen des Verfahrens definieren. Hierbei spielen die rechtlichen Rahmenbedingungen eine Rolle, die bestimmen, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen Berufung eingelegt werden kann.
Das vorliegende Urteil
LG Berlin – Az.: 85 S 59/23 WEG – Beschluss vom 16.08.2023
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 10.05.2023, Az. 75 C 10/23, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Die Kammer beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahren auf 20.196,08 Euro festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
I.
Die Klägerin ficht einen mit Schreiben der Verwaltung der Beklagten am 12.1.2023 verkündeten Beschluss an, der im Umlaufverfahren gefasst worden ist.
Laut Protokoll der Eigentümerversammlung vom 26.9.2022 wurde unter Top 1 folgender Beschluss gefasst:
„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt, dass über die Nachschüsse bzw. Anpassungen der beschlossenen Vorschüsse aus den Einzelabrechnungen für das Jahr 2021 im Rahmen eines Umlaufbeschlusses beschlossen werden kann.“
Hintergrund war, dass zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung vom 26.9.2022 die Heizkostenrechnung der Firma … noch nicht vorlag, so dass über die Abrechnungsspitzen noch nicht entschieden werden konnte.
II.
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingegangen. Das Amtsgericht hat dem Klageantrag Ziff. 1 zu Recht stattgegeben.
Der von der Klägerin angefochtene Beschluss ist gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ungültig, weil er nicht einstimmig gefasst worden ist.
Zwar kann gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen ausreichen, aber hierfür ist Voraussetzung, dass die Wohnungseigentümer beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt.
Erforderlich ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, dass für einzelne Beschlussgegenstände beschlossen wird, dass die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll. Denn das in § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG normierte Einstimmigkeitserfordernis gleicht den Umstand aus, dass ein solcher Beschluss ohne die in einer Eigentümerversammlung mögliche Aussprache gefasst werden kann und die in einer solchen Aussprache mögliche Einflussnahme auf die mehrheitliche Entscheidungsfindung als elementarer Bestandteil der mitgliedschaftlichen Rechte eines Wohnungseigentümers fehlt. Wollen die Wohnungseigentümer im Gegensatz dazu gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG beschließen, dass für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll, muss dies in dem entsprechenden Beschluss hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Dies ist im Einzelfall durch Auslegung des jeweiligen Beschlusses zu ermitteln.
Beschlüsse sind „aus sich heraus“ auszulegen. Dabei kommt es bei der gebotenen objektiven Auslegung maßgebend darauf an, wie der Beschluss nach seinem Wortlaut und Sinn für einen unbefangenen Betrachter nächstliegend zu verstehen ist. Auf die subjektiven Vorstellungen der beteiligten Wohnungseigentümer kommt es dagegen nicht an (BGH v. 15.1.2010 – V ZR 72/09, NZM 2010, 285).
Insbesondere gilt, dass ein Beschluss, wonach bei Umlaufbeschlüssen die einfache Mehrheit genügt, restriktiv auszulegen ist. Denn andernfalls wird der Minderheitenschutz, dem das Einstimmigkeitserfordernis nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG dient, unterlaufen.
Der in der Versammlung vom 26.9.2022 zu TOP 1 gefasste Beschluss enthält keinen Hinweis darauf, dass für den beabsichtigten Umlaufbeschluss gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG das Mehrheitsprinzip gelten sollte.
Der Wortlaut des o.g. Beschlusses enthält keine Angaben dazu, dass schon ein mehrheitlich gefasster Umlaufbeschluss genügt.
Das Wort „kann“ bedeutet hier nur, dass über die Abrechnungsspitzen für das Jahr 2021 entweder in einer weiteren Eigentümerversammlung oder im Rahmen eines Umlaufbeschlusses entschieden werden kann. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Protokoll ergebenden Beweggründe für die Beschlussfassung.
Dass ein Umlaufbeschluss auch schon durch eine Mehrheitsentscheidung zustande kommen soll, ergibt sich nicht zweifelsfrei aus dem Ziel der Vermeidung einer weiteren Eigentümerversammlung, weil diese auch durch einen einstimmigen Umlaufbeschluss vermieden werden kann.
Der o.g. Beschluss ist auch nicht überflüssig, wenn nur ein einstimmiger Umlaufbeschluss zugelassen wird.
Zwar ist ein solcher gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ohne vorherige Beschlussfassung jederzeit möglich, allerdings kann es durchaus Sinn ergeben, darüber zu beschließen, dass die Wohnungseigentümer von der Möglichkeit, die das Gesetz eröffnet, einen einstimmigen Umalaufbeschluss zu fassen, Gebrauch machen werden. Dadurch können sich die Wohnungseigentümer darauf einstellen, dass sie in naher Zukunft eine Aufforderung erhalten werden, schriftlich abzustimmen. Insoweit kann der o.g. Beschluss als reiner Verfahrensbeschluss ausgelegt werden.
Aus all diesen Gründen war nicht für jedermann zweifelsfrei und ohne weiteres erkennbar, dass sich die Wohnungseigentümer für den Umlaufbeschluss auf das Mehrheitsprinzip geeignet haben. Der von der Klägerin angefochtene Beschluss ist insoweit gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ungültig, weil er nicht einstimmig gefasst worden ist.
Es wird deshalb der Beklagten binnen drei Wochen anheimgestellt, eine Rücknahme der Berufung zu prüfen. In einem solchen Fall ermäßigen sich die Gerichtskosten auf 2,0 Gebühren (Nr. 1222 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG), während im Fall eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO 4,0 Gebühren anfallen (Nr. 1220 der Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).