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WEG: Prozessführungsbefugnis einzelner Wohnungseigentümer

LG Berlin, Az.: 55 S 218/16 WEG

Urteil vom 27.10.2017

In dem Wohnungseigentumsverfahren hat die Zivilkammer 55 des Landgerichts Berlin in Berlin – Mitte, …….., auf die mündliche Verhandlung vom 13.10.2017 f ü r R e c h t e r k a n n t :

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.8.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg – 72 C 9/16WEG – geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen mit Ausnahme der Kosten des Streithelfers, der seine Kosten selbst zu tragen hat.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

WEG: Prozessführungsbefugnis einzelner Wohnungseigentümer
Symbolfoto: Kzenon/Bigstock

Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Entgegen der vom Amtsgericht vertretenen Ansicht kann der Kläger von der Beklagten nicht gem. §§ 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 Nr. 1 WEG die Beseitigung des Balkons verlangen. Denn der Kläger ist bereits zur Geltendmachung der Forderung nicht aktiv legitimiert, da der Verband Beseitigungsansprüche gem. § 1004 Abs. 1 BGB an sich gezogen hat.

Die Frage der Aktivlegitimation ist eine Rechtsfrage, so dass der Hinweis des Klägers, die Beklagte habe diesen Aspekt in erster Instanz nicht bestritten, nicht überzeugt. Zwar ist es zutreffend, dass die Frage der Aktivlegitimation erstinstanzlich – soweit ersichtlich – weder von den Parteien noch dem Gericht problematisiert worden war. Jedoch können unstreitig lediglich Tatsachen sein, nicht hingegen Fragen der rechtlichen Bewertung eines Sachverhaltes.

Unstreitig haben die Eigentümer in der Versammlung am 26.11.2014 zu TOP 3 mehrheitlich beschlossen, dass der Verwalter beauftragt wird, einen Anwalt mit der Prüfung zu beauftragen, ob der von der Beklagten angebrachte Balkon gegen die Regelungen der Teilungserklärung und des WEG verstößt und ggf. eine Klage auf Rückbau gegen die Beklagte einzuleiten. Die Kosten des Rechtsstreits sollten aus der Sonderumlage für Rechtstreitkosten entnommen werden.

Mit diesem Beschluss haben die Eigentümer den Individualanspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB zur Beseitigung des Balkons vergemeinschaftet. Eine derartige Vorgehensweise ist nach der höchstrichtlichen Rechtsprechung auch grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 05. Dezember 2014 – V ZR 5/14 = BGHZ 203, 327). Danach ist es anerkannt, dass Ansprüche gegen einen Eigentümer gemäß § 1004 BGB auf Beseitigung und Unterlassung einer Störung des gemeinschaftlichen Eigentums wegen unzulässiger baulicher Veränderung etc. zu den klassischen Individualansprüchen zählen, die jedoch durch Mehrheitsbeschluss zur Angelegenheit der Gesamtheit der Wohnungseigentümer gemacht werden können und nach Vergemeinschaftung durch den Verband auszuüben sind (LG München I, Urteil vom 31. März 2011 – 36 S 1580/11 = ZMR 2011, 835). Ob dies erfolgt ist, ist aufgrund des objektiven Inhalts sowie des Wortlauts des dort streitgegenständlichen Beschlusses anhand der herkömmlichen Auslegungsgrundsätze festzustellen. Ab dem Zeitpunkt der Vergemeinschaftung ist der Verband aus eigenem Recht befugt, über Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer zu verfügen und damit auch einen Vergleich zu schließen; insoweit überlagert die Ausübungsbefugnis der Gemeinschaft, welche die Geltendmachung der Ansprüche an sich gezogen und die Angelegenheit damit zu einer Sache der gemeinsamen Verwaltung gemacht hat, die individuelle Rechtsverfolgungskompetenz der Sondereigentümer und schränkt diese ein (LG München I aaO.). Weil die Wohnungseigentümergemeinschaft nunmehr im eigenen Namen gegen den Beklagten vorgehen kann, ist der Kläger für eine Klage mit diesem Streitgegenstand nicht (mehr) prozessführungsbefugt (BGH aaO.; Bärmann, WEG 13. A., § 10 RZ 251). Dafür, dass hiervon abweichend bei einer gekorenen Ausübungsbefugnis nicht nur der Verband, sondern auch der Wohnungseigentümer selbst tätig werden kann, gibt der Gesetzestext nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keinen Anhaltspunkt (BGH aaO.).

Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Vergemeinschaftung beschlossen wurde, kommt es allein auf den objektiven Inhalt des Beschlusses an, nicht hingegen darauf, welchen Beschluss die Eigentümer ihrer Ansicht bzw. Vorstellung nach fassen wollten. Von daher bedarf es der Vernehmung der von dem Kläger benannten Zeugen nicht.

Nach der maßgeblichen objektiven Sichtweise ist mit dem vorgenannten Beschluss eine Vergemeinschaftung der Beseitigungsansprüche erfolgt. Hierfür spricht, dass die Verwalterin, die grds. gem. § 27 WEG die Gemeinschaft nach außen vertritt und nicht einzelne Eigentümer, mit der Beauftragung eines Rechtsanwaltes beauftragt wurde. Bereits mit diesem Prüfungsauftrag ist die Angelegenheit vergemeinschaftet worden, weil der Verband geklärt wissen wollte, welche Rechte ihm zustehen. Von Individualansprüchen Einzelner ist in dem Beschluss nicht die Rede. Hinzu kommt, dass der Beschluss darüber hinaus regelt, dass auch eine Klage auf Rückbau eingeleitet werden soll, wobei angesichts des Wortes „ggf.“ die Klageerhebung von dem Ergebnis des Prüfungsauftrages abhängig gemacht werden soll. Dadurch dass die Eigentümer nicht nur über die gerichtliche Verfolgung von Beseitigungsansprüchen gegen die Beklagte beschlossen haben, sondern zudem die Frage der hiermit einhergehenden Kostenbelastung, ist für die Kammer nicht ersichtlich, was die Eigentümer – nach objektivem Verständnis – mit dem Beschluss anderes gewollt haben als eine Verfolgung der Ansprüche durch den Verband. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass in dem Beschlusstext die Worte „Verband“ oder „WEG“ nicht erwähnt werden. Angesichts des Umfangs der getroffenen Regelung (Überprüfung durch einen Rechtsanwalt, Erteilung der Befugnis zur Klageerhebung, Regelung der Kostenfrage) ist bereits in einem Beschluss alles Wesentliche geregelt worden, was bei einer Vergemeinschaftung der Ansprüche zu regeln ist, wenngleich hierfür auch grundsätzlich zwei Beschlüsse für erforderlich erachtet werden (Jennißen, 2. A., § 10 RZ 117), nämlich die Übertragung der Ausübungsbefugnis auf den Verband einerseits und die Beschlussfassung über das weitere Vorgehen des Verbandes (außergerichtliche Schritte, Mandatierung eines Anwalts, Klageerhebung) andererseits. Es gibt jedoch kein rechtliches Hindernis, diese Schritte – wie hier – in einem Beschluss zusammenzufassen.

Der Hinweis des Klägers darauf, dass der hier maßgebliche Wortlaut des Beschlusses nicht mit demjenigen übereinstimmt, den der Bundesgerichtshof im Rahmen seiner eingangs zitierten Entscheidung zu beurteilen hatte, überzeugt im Ergebnis nicht. Zwar ist es zutreffend, dass der Wortlaute des Beschlusses, welcher Gegenstand der höchstrichterlichen Entscheidung war, sich von dem hier zugrunde zu legenden Beschluss im Wortlaut unterscheidet; dies ändert jedoch nichts daran, dass die vom Bundesgerichtshof entwickelten (Rechts)Grundsätze vorliegend Anwendung finden. Mit dem Beschluss vom 26.11.2014 haben die Eigentümer nichts anderes zum Ausdruck gebracht, als dass die außergerichtliche Prüfung und gerichtliche Verfolgung eines Anspruchs gem. § 1004 Abs. 1 BGB vom Verband vorgenommen werden soll. Damit sind die vom Bundesgerichtshof statuierten rechtlichen Grundsätze auch auf die hiesige Konstellation anwendbar.

Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Eigentümer im Rahmen eines Beschlusses vom 26.3.2015 verdeutlicht hätten, was Gegenstand der Beschlussfassung am 26.11.2014 gewesen sei, vermag dies an der rechtlichen Bewertung nichts zu ändern. Denn – wie dargetan – ist zur Bestimmung des Beschlussinhaltes gerade nicht maßgebend, was die Eigentümer tatsächlich gewollt haben, sondern was mit dem Beschluss nach objektivem Verständnis zum Ausdruck bebracht wird, so dass auch nachträgliche Beschlüsse, die als Interpretationshilfe dienen könnten, unbeachtlich sind.

Unerheblich für die Bestandskraft des Beschlusses vom 26.11.2014 ist zudem, ob zeitlich nachfolgende Beschlüsse der Eigentümer gerichtlich für ungültig erklärt worden sind. Maßgeblich ist allein, dass der vorgenannte Beschluss nicht nichtig ist und auch nicht für ungültig erklärt wurde (§ 23 Abs. 4 S. 2 WEG).

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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