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Rechtsmissbräuchliche fristlose Mietvertragskündigung wegen Zahlungsverzugs

KG – Az.: 8 U 178/22 – Beschluss vom 16.03.2023

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 09.11.2022, Aktenzeichen 21 O 177/22, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Berlin ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Räumung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 600.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Kosten in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10% abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10% leistet.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 417.325,32 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat die beklagte Mieterin aufgrund einer fristlosen Kündigung der klagenden Vermieterin wegen Zahlungsverzuges zur Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen verurteilt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen ihre Verurteilung und macht unter Bezugnahme auf Rechtsprechung und Schrifttum vor allem geltend:

Die Kündigung wegen Zahlungsverzuges sei schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil die Beklagte die Miete während der achtjährigen Mietzeit beanstandungsfrei gezahlt habe. Der Klägerin habe sich aufdrängen müssen, dass kein Fall von Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit, sondern ein Versehen vorgelegen habe, zumal die Beklagte den vorhergehenden Kündigungen und der Räumungsklage entgegengetreten sei und mit der Klagerwiderung auf ihre hohen Investitionen in das Mietobjekt hingewiesen habe.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Abänderung des am 09.11.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin, Aktenzeichen 21 O 177/22, abzuweisen.

II.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 09.11.2022, Aktenzeichen 21 O 177/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Zur Begründung wird auf den Beschluss vom 06.02.2023 Bezug genommen, in dem der Senat ausgeführt hat:

„[1] Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht gemäß § 546 Abs. 1 BGB zur Räumung und Herausgabe der gemieteten und der mitgenutzten Flächen an die Klägerin verurteilt. Das Mietverhältnis ist durch die Kündigung der Klägerin vom 30.06.2022 beendet worden. Auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird in vollem Umfang Bezug genommen. Folgendes wird hervorgehoben und ergänzt:

[2] Die Klägerin war aufgrund Zahlungsverzuges der Beklagten mit den Mieten für die Monate Mai und Juni 2022 gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 lit. a und b BGB zur fristlosen Kündigung berechtigt. Gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BGB bedurfte es keiner vorherigen Abmahnung und es ist unerheblich, dass der Rückstand danach ausgeglichen wurde, denn § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB gilt nur für Wohnraum (s. a. § 578 Abs. 2 Satz 1 BGB).

[3] Eine Abmahnung ist ausnahmsweise nach Treu und Glauben geboten, wenn sich dem Vermieter die Erkenntnis aufdrängen muss, dass der Zahlungsrückstand nicht auf Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des Mieters beruht, sondern auf einem geringfügigen Versehen oder sonstigen von ihm nicht zu vertretenden Umständen (vgl. OLG Hamm ZMR 1998, 493; OLG Düsseldorf ZMR 2004, 570; OLG Stuttgart ZMR 2015, 22; OLG Hamm, Beschluss vom 24.08.2016 – I-30 U 61/16; Alberts in: Guhling/ Günter, Gewerberaummiete, 2. Auflage, § 543 BGB Rn. 71; Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Auflage, § 543 BGB Rn. 282; Fleindl in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage, Kap. IV Rn. 373) bzw. auf einer bestehenden Unsicherheit bezüglich des Empfängers der Miete oder des Zahlungsweges (vgl. OLG Dresden ZMR 2020, 497).

Dies hat das Landgericht zu Recht verneint.

[4] Der Zahlungsverzug stand hier – anders als im Fall des OLG Düsseldorf ZMR 2002, 818 und in dem vom OLG Hamm am 24.08.2016 entschiedenen Fall – nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Wechsel einer Vertragspartei. Vielmehr trägt die Klägerin (mit Schriftsatz vom 10.10.2022) unbestritten vor, dass die Beklagte die Miete „schon viele Monate bis einschließlich April“ an die Klägerin überwiesen hatte.

[5] Zwar war die Beklagte ihren Zahlungsverpflichtungen aus dem Mietvertrag vom 27.11./ 02.12. 2014 bis dahin stets nachgekommen und kann sich dem Vermieter ein Versehen aufdrängen, wenn Mietzahlungen ausbleiben, nachdem es viele Jahre keine Zahlungsunregelmäßigkeiten gegeben hat. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Klägerin, die am 01.10.2021 Grundstückseigentümerin wurde, dies für den Zeitraum vor Übernahme des Mietverhältnisses überblicken konnte, der laut Schriftsatz der Beklagten vom 18.10.2022 im Juli 2021 erfolgte.

[6] Jedenfalls hat das Landgericht zu Recht Anhaltspunkte gesehen, welche die Klägerin an einem Versehen zweifeln lassen konnten. Zwar dürfte eine Zahlungsunfähigkeit der Beklagten nach dem Vorbringen im Schriftsatz der Klägerin vom 14.07.2022 (Seite 25) fern gelegen haben. Das Ausbleiben der Mietzahlungen für Mai und Juni 2022 konnte aber, auch wenn den Kündigungen vom 18.03.2022 mit Schreiben vom 27.03.2022 und telefonisch am 30.03.2022 anwaltlich entgegengetreten und die Abmahnung vom 07.04.2022 betreffend Bauunterlagen am 14.04.2022 beantwortet worden war, aus Sicht der Klägerin eine Reaktion auf die am 11.04.2022 eingereichte Räumungsklage sein.

[7] Vor allem konnte es die Klägerin – wie im angefochtenen Urteil ausgeführt – ernsthaft für möglich halten, dass die Einstellung der Mietzahlungen damit im Zusammenhang stand, dass der Beklagten eine Veranstaltung und Verbreitung des Fernsehprogramms „x“ in der Bundesrepublik Deutschland untersagt worden war. Es kommt nicht darauf an, dass die Ausstrahlung des Programms (noch) nicht aus den Mieträumen erfolgte und dass die Klägerin für das Programm nur als Produktionsdienstleistungsunternehmen tätig geworden sein mag. Insoweit wird auf den Beschluss des VG Berlin vom 17.03.2022 – VG 27 L 43/22 (Anlage K 4) Bezug genommen, mit dem der Antrag der Beklagten auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Beanstandungs- und Untersagungsverfügung zurückgewiesen wurde. Dass das VG a. a. O. eine Schließung der Betriebsstätte der Beklagten als fernliegend bezeichnete, spielt vorliegend keine Rolle, schon weil nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin zu einer solchen Einschätzung kommen musste.

[8] Zwar zeigte die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.05.2022 ihre Absicht an, sich gegen die Räumungsklage zu verteidigen, und berief sich mit ihrer Klagerwiderung vom 17.06.2022 u. a. darauf, Millionenbeträge in das Projekt investiert zu haben. Gleichwohl war für die Klägerin nicht auszuschließen, dass die Mietzahlungen aus Zahlungsunwilligkeit ausgeblieben waren und weiter ausbleiben könnten.

[9] Durch die „Verordnung (EU) 2022/350 des Rates vom 1. März 2022 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren“ wurde verboten, u. a. das Programm „x …“ zu senden oder dessen Sendung zu ermöglichen, zu erleichtern oder auf andere Weise dazu beizutragen, auch durch die Übertragung oder Verbreitung über Kabel, Satellit, IP-TV, Internetdienstleister, Internet-Video-Sharing-Plattformen oder -Anwendungen, und wurden alle Rundfunklizenzen oder -genehmigungen, Übertragungs- und Verbreitungsvereinbarungen für dieses Programm ausgesetzt.

[10] Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 14.07.2022 unbestritten vorgetragen, dass in den Mieträumen gemäß der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag der Beklagten vom 22.11.2016 die redaktionelle und grafische Bearbeitung, Aufzeichnung und Ausstrahlung – teilweise per Live-Sendung – von Nachrichten durch den Fernsehsender … erfolgen soll.

[11] Deshalb lag nahe, dass der Beklagten durch die Verordnung (EU) 2022/350 und die erwähnte Beanstandungs- und Untersagungsverfügung die Grundlage für ihre Tätigkeit und die Nutzung der Mieträume zu dem in § 2.1 Satz 1 des Mietvertrages vereinbarten Mietzweck („zum Betrieb einer TV- und Medienproduktion und zur Durchführung aller damit zusammenhängenden Geschäfte und Maßnahmen“) ganz oder im Wesentlichen entzogen war. Aus Sicht der Klägerin war daher bei Ausspruch der Kündigung vom 30.06.2022 nicht offenkundig, dass die Mietzahlungen versehentlich und nicht wegen einer Zahlungsunwilligkeit der Beklagten aufgrund des Tätigkeitsverbots ausblieben.

[12] Allein eine langjährige pünktliche Mietzahlung macht, wenn sich dem Vermieter gleichwohl – wie hier – aufgrund der aktuellen Lage ein Versehen bei dem Mietrückstand nicht aufdrängen muss, eine Kündigung wegen Zahlungsverzuges nach Auffassung des Senats nicht rechtsmissbräuchlich. Eine längere vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Vergangenheit auch in einem solchen Fall genügen zu lassen – wofür sich die Beklagte auf Staudinger/Emmerich, BGB, Bearb. 2021 § 543 Rn. 92 beruft -, würde die gesetzliche Regelung in § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB zu weitgehend unterlaufen. Die anderen von Blank/Börstinghaus (Miete, 6. Auflage, § 543 BGB Rn. 211) und Streyl (in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage, § 543 BGB Rn. 209) genannten Fallgruppen für einen Rechtsmissbrauch sind hier von vornherein nicht einschlägig.

[13] Das Reichsgericht leitete in RGZ 150, 232 eine Treuwidrigkeit der Kündigung aus besonderen Umständen des Falles her; der Verpächter hatte mit einem Schreiben den Eindruck erweckt, nicht kündigen zu wollen, und kündigte kurz danach am letzten Tag der Frist, innerhalb derer der Pächter hätte nachzahlen können. Das LG Frankfurt WuM 1975, 53 betrachtete es bei einem über 20 Jahre bestehenden Mietverhältnis nach Treu und Glauben als unerheblich, ob die überwiesenen offenen Beträge dem Konto der Vermieterin vor oder wenige Stunden nach Zugang der Kündigung gutgeschrieben wurden. Das OLG Hamm ZMR 1998, 493, das LG Berlin GE 1999, 44 und das OLG Düsseldorf ZMR 2004, 570 Rn. 18 stellten darauf ab, der Vermieterin bzw. Verpächterin hätte sich aufdrängen müssen, dass der Rückstand nicht auf Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit beruht habe. Auch hatte der Vermieter im Fall des LG Berlin a. a. O. das Ausbleiben der Zahlungen lange Zeit kommentarlos hingenommen und war im Fall des OLG Düsseldorf a. a. O. nach der Kündigung zeitnah eine Anschlussvermietung an die Unterpächterin erfolgt, die durch Einstellung ihrer Zahlungen an die Verpächterin den die Kündigung begründenden Rückstand im (Haupt-) Pachtverhältnis herbeigeführt hatte. Das Urteil des OLG Karlsruhe NJW-RR 2003, 945 betraf keine Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB. Das OLG Hamburg stellte mit Urteil vom 27.06.2014 – 8 U 24/14 auf eine beanstandungsfreie 15-jährige Mietzahlung in Verbindung mit einer konkreten Aussicht auf alsbaldige Behebung der Zahlungsprobleme ab (ähnlich AG Friedberg WuM 1979, 257 zu einem Bankversehen bei rechtzeitigem Überweisungsauftrag sowie Blank/Börstinghaus a. a. O.) und entsprechend entschied das OLG Düsseldorf ZMR 2002, 818 zu einem Zahlungsverzug für zwei Monate nach dem Tod des (bisherigen) Mieters in einem 25 Jahre bestehenden Mietverhältnis. Diese Entscheidungen sind sämtlich nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar.

[14] Eine Nachzahlung der rückständigen Mieten kann den Rückschluss rechtfertigen, dass sie auf eine Abmahnung oder Nachfrage des Vermieters hin unverzüglich erfolgt wäre (vgl. OLG Hamm ZMR 1998, 493; OLG Düsseldorf ZMR 2004, 570), spielt aber für ein Gewerberaumverhältnis grundsätzlich keine Rolle, wenn eine vorherige Abmahnung oder Nachfrage – wie im Regelfall (s. o.) und hier – nicht geboten war. Soweit die Berufungsbegründung dem entgegenzutreten sucht, bezieht sich die angeführte Fundstelle (Sternel, Mietrecht aktuell, 4. Auflage 2009, Rn. XII 188) auf eine Kündigung wegen wiederholter säumiger Mietzahlung, also zurückliegender Vertragsverletzungen, und ist auf eine Kündigung wegen (aktuellen) Zahlungsverzuges gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB nicht übertragbar.

[15] Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs genügt es nicht, dass die Kündigungsbefugnis aus § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB der Klägerin, die schon am 18.03.2022 eine fristlose und eine ordentliche Kündigung des Mietvertrages erklärt hatte, gelegen gekommen sein mag (vgl. BGH WarnR 1971 Nr. 197 S. 543, 544; Staudinger/Emmerich, BGB, Bearb. 2021, § 543 Rn. 94).

[16] Es kann offenbleiben, ob die Klägerin im Hinblick auf ein Interesse, angesichts des Ukrainekrieges nicht als Gehilfin bei der Verbreitung des Gedankenguts von „x“ zu erscheinen (s. a. BGH GuT 2010, 336 Rn. 25 zu einer Rufgefährdung für einen Vermieter durch ein in den vermieteten Räumen betriebenes Geschäft), gemäß § 543 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung vom 18.03.2022 berechtigt war.

[17] Die Klage ist auch deshalb begründet, weil die ordentliche Kündigung der Klägerin vom 18.03.2022 zum 30.09.2022 wirksam war. Die Befristung des Mietverhältnisses bis zum 31.08.2025 steht der Kündigung nicht entgegen, denn sie ist wegen Schriftformmangels gemäß § 550 Satz 1 BGB unwirksam.

[18] Die Schriftform ist nur gewahrt, wenn sich die für den Abschluss des Vertrags notwendige Einigung über alle wesentlichen Vertragsbedingungen aus einer von beiden Parteien unterzeichneten Urkunde ergibt. Für Vertragsänderungen gilt nichts anderes als für den Ursprungsvertrag. Sie müssen daher ebenfalls der Schriftform des § 550 BGB genügen, es sei denn, dass es sich um unwesentliche Änderungen handelt (BGH NJW 2016, 311 Rn. 12 m. w. N.).

[19] Die Vereinbarung in § 1.2 Satz 5 des Mietvertrages (Anlage K 1), dass die Beklagte die in Anlage 13.1 zum Vertrag (Anlage K 7) aufgeführten Umbaumaßnahmen auf eigene Kosten durchführen wird, ist formlos geändert worden, indem die schriftliche Zustimmung des damaligen Vermieters zum Bauantrag der Beklagten vom 10.02.2015 eingeholt und erteilt wurde. Der mit diesem Bauantrag eingereichte Grundriss des Erdgeschosses (Anlage K 8) weicht stark von dem in der Anlage K 7 enthaltenen Grundriss des Erdgeschosses ab. Aus dem Vergleich der beiden Grundrisse ergibt sich eine erheblich geänderte Raumaufteilung durch Umplanungen bei zahlreichen Trennwänden, welche die Klägerin mittels der gelben Markierungen in der Anlage K 17 unbestritten verdeutlicht hat. Es handelt sich nicht um eine nur unwesentlich von der Anlage 13.1 abweichende bauliche Veränderung, welche unter die in § 13.1 Satz 2 des Mietvertrages erklärte Zustimmung des Vermieters fallen würde.

[20] Die doppelte Schriftformklausel in § 17.1 des Mietvertrages steht der Wirksamkeit der formlosen Vertragsänderung nicht entgegen (vgl. BGH NJW 2017, 189).

[21] Treffen die Mietvertragsparteien Vereinbarungen zu am Mietobjekt vorzunehmenden Um- und Ausbauarbeiten und dazu, wer diese vorzunehmen und wer die Kosten zu tragen hat, so liegt die Annahme nicht fern, dass diese Abreden vertragswesentliche Bedeutung haben und daher der Schriftform unterliegen (BGH NJW 2016, 311 Rn. 29).

[22] Gerade für einen Grundstückserwerber wie die Klägerin ist es bedeutsam, ob er vom Mieter den im schriftlichen Mietvertrag vereinbarten Zustand der Mietsache und ggf. entsprechende Umbau- oder Rückbaumaßnahmen beanspruchen kann. Der vereinbarte Zustand ist regelmäßig auch dafür relevant, inwieweit der Mieter den Erwerber bei vorzeitiger Beendigung des Mietverhältnisses aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch nehmen kann (s. dazu BGHZ 180, 293). Die Mietfläche im Erdgeschoss misst ausweislich Seite 1 der Anlage 1.1.a zum Mietvertrag 11.268,24 m². Die Beklagte trägt vor, etwa 5 Mio. € für den Trockenbau des Bauprojekts investiert zu haben. Entgegen ihrer Argumentation liegt daher im Zusammenhang mit der erheblichen Umplanung der Raumaufteilung im Erdgeschoss eine wesentliche und formbedürftige Vertragsänderung im Sinne der zitierten BGH-Rechtsprechung vor.

[23] Dies gilt, obwohl der Vermieter gemäß § 13.1 Satz 3 des Mietvertrags die Zustimmung zu von der Anlage 13.1 abweichenden baulichen Veränderungen generell nur verweigern darf, „wenn ein wichtiger Grund vorliegt, z. B. die einheitliche optische Gestaltung des Gesamtkomplexes beeinträchtigt wird“, und ein wichtiger Grund nicht vorliegen mag. Es geht hier nicht um eine einseitige Genehmigung des Vermieters für die Erweiterung eines dem Mieter eingeräumten Umbaurechtes. Vielmehr konnte die in § 1.2 Satz 5 des Mietvertrages zugunsten und zulasten beider Parteien getroffene Regelung zu Umbaumaßnahmen nur durch eine zweiseitige Vereinbarung geändert werden. Insbesondere ein Grundstückserwerber muss dem schriftlichen Vertrag entnehmen können, ob eine solche Vereinbarung zustande gekommen und damit eine wesentliche Änderung der beiderseitigen Rechte und Pflichten eingetreten ist.

[24] Der Formmangel bei der Vertragsänderung anlässlich der Zustimmung zum Bauantrag (und damit zu dem als Anlage K 8 eingereichten Grundriss) ist nicht durch den „1. Nachtrag“ vom 16.12.2021/06.01.2022 (s. Anlage B 8 und Anlagekonvolut K 10) geheilt. Zwar ist ein Mietgegenstand in der Regel trotz einer ungenauen Bezeichnung hinreichend bestimmbar bezeichnet, wenn der Mieter diesen bei Abschluss eines Nachtrags nutzt, weil dann der Umfang der bisherigen Nutzung zur Auslegung herangezogen werden kann (BGH MDR 2021, 225 Rn. 21 m. w. N.) und dies könnte auf eine Ausbauvereinbarung übertragbar sein. Die Beklagte hat den Mietgegenstand aber nicht so genutzt wie (entsprechend der Anlage K 8) vereinbart, sondern hat das Erdgeschoss nach unbestrittenem Vorbringen der Klägerin mit einem gegenüber dem Bauantrag vom 10.02.2015 wiederum stark veränderten Grundriss ausgebaut.

[25] Daher sind auch die beiden Papiere mit dem Titel „1. Nachtrag“ unerheblich, welche die Beklagte als Anlagen B 9 und B 12 (ohne die dort vorgesehenen Anlagen u. a. zu Aus- und Umbaumaßnahmen des Mieters) eingereicht hat. Ohnehin handelt es sich bei diesen weder unterschriebenen noch datierten Unterlagen offenbar nur um Entwürfe.

[26] § 17.6 des Mietvertrages sieht eine Verpflichtung zur Herstellung bzw. Heilung der Schriftform und einen Verzicht auf eine vorzeitige Kündigung des Vertrages wegen Mängeln der Schriftform ausdrücklich nur für die seinerzeitigen Vertragsparteien vor und nicht für einen Grundstückserwerber wie die Klägerin. Ohnehin ist die Regelung wegen Unvereinbarkeit mit § 550 BGB unwirksam (vgl. BGHZ 216, 68).

[27] Die Klägerin ist nicht nach Treu und Glauben gehindert, aus dem Schriftformmangel das Recht zur ordentlichen Kündigung herzuleiten.

[28] Eine Treuepflichtverletzung des ursprünglichen Vermieters ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hätte genauso darauf achten müssen, dass die Vertragsänderung zu den Umbaumaßnahmen formgerecht erfolgt. Dem Vorbringen der Beklagten ist auch nichts dafür zu entnehmen, dass es dem zwischenzeitlichen Eigentümer anzulasten wäre, dass der von ihm anlässlich des neuen Bauantrages der Beklagten im April 2021 entworfene Nachtrag (Anlage B 12) nicht geschlossen wurde. Ohnehin stünde ein treuwidriges Verhalten eines Rechtsvorgängers der Kündigungsbefugnis der Klägerin als Grundstückserwerberin nicht entgegen (vgl. BGH NJW 1962, 1388, 1390; BGHZ 40, 255, Rn. 32; OLG Düsseldorf NZM 2005, 147; OLG Dresden MDR 2015, 1226; OLG Celle ZMR 2017, 389; Schweitzer in: Guhling/Günter, Gewerberaummietrecht, 2. Auflage, § 550 Rn. 86 m. w. N.).

[29] Die Kündigung wegen des Schriftformmangels hinsichtlich der vereinbarten Umbaumaßnahmen ist nicht aufgrund eigenen treuwidrigen Verhaltens der Klägerin rechtsmissbräuchlich. Die Beklagte legt schon ein Einverständnis der Klägerin mit den tatsächlich erfolgten Umbaumaßnahmen nicht schlüssig dar. Angesichts des dezidierten Bestreitens der Klägerin im Schriftsatz vom 14.07.2022 (Seite 17 ff.), die Abweichungen der Bauausführung von der Vereinbarung im schriftlichen Mietvertrag (Anlage K 7) und der genehmigten Planung (Anlage K 8) gekannt zu haben, reichen die pauschalen Behauptungen im Schriftsatz der Beklagten vom 18.10.2022, die Klägerin sei „vollumfänglich über alle Umbauten seit Übernahme des Mietverhältnisses im Juli 2021 informiert worden“, es habe einen engen Austausch zu technischen Fragen gegeben und die Klägerin habe bei Besuchen des Mietobjekts im Juli und August 2021 und bis zum Beginn des Ukrainekrieges keine Einwendungen erhoben, auch unter Berücksichtigung der eingereichten Mailkorrespondenz (Anlagekonvolut B 14 und Anlage B 15) nicht aus. Schweigen ist grundsätzlich keine Zustimmung. Die geänderte Baugenehmigung vom 16.11.2021 (s. Anlagekonvolut K 18) ist der Klägerin nach ihrem unbestrittenen Vorbringen erst auf ihre Abmahnung vom 07.04.2022 (Anlage B 6) hin mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 14.04.2022 (Anlage B 3) übersandt worden. Es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass die Klägerin die Beklagte treuwidrig davon abgehalten hätte, eine Einigung über die geänderten Umbaumaßnahmen zu treffen und formgerecht zu vereinbaren. Vielmehr arbeitete die Klägerin laut Klagerwiderung den als Anlage B 7 eingereichten Nachtragsentwurf aus und wurde mit E-Mail vom 29.11.2021 (Anlage K 21) namens der Beklagten „aufgrund der noch offenen technischen Fragen“ vorgeschlagen, „bereits jetzt einen zusätzlichen schlanken Nachtrag nur zum Thema Kautionstausch zu unterzeichnen“, wie es dann am 16.12.2021/06.01.2022 geschah (Anlage B 8).

[30] Auf eine Existenzgefährdung durch die Kündigung dürfte sich die Beklagte als juristische Person nicht berufen können (vgl. Senat GE 2023, 87). Jedenfalls fehlt es an einer schlüssigen Darlegung, an die strenge Anforderungen zu stellen sind (vgl. Senat ZMR 2022, 791 m. w. N.). Die Beklagte legt ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nicht konkret dar. In ihrer Bilanz vom 31.12.2020 (Anlage K 19) sind Guthaben bei Kreditinstituten in Höhe von … € ausgewiesen. Mit der Berufungsbegründung macht die Beklagte vielmehr geltend, ihre finanzielle Potenz sei der Klägerin bekannt gewesen.

[31] § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO stehen einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nicht entgegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung und der Senat sieht sich – wie dargelegt – mit den Grundsätzen der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung im Einklang.“

Der Schriftsatz der Beklagten vom 1.03.2023 führt zu keiner anderen Beurteilung.

Der Senat hält daran fest, dass die fristlose Kündigung der Klägerin vom 30.06.2022 nicht rechtsmissbräuchlich war und sich der Klägerin nicht aufdrängen musste, dass die Mietzahlungen für Mai und Juni 2022 nur versehentlich unterblieben waren. Auch wenn die Beklagte die Miete jahrelang pünktlich gezahlt hatte – was die Klägerin als Grundstückserwerber nur für die letzten zehn Monate überblicken musste -, bereits hohe Beträge in den (nicht abgeschlossenen) Ausbau des Mietobjekts investiert hatte sowie den Kündigungen vom 18.03.2022 entgegen getreten war und eine Schließung der Betriebsstätte im Beschluss des VG Berlin vom 17.03.2022 als fernliegend eingeschätzt wurde, war ein Versehen aus Sicht der Klägerin nicht offenkundig. Vielmehr konnte die Einstellung der Mietzahlungen nach Einreichung der Räumungsklage damit zusammenhängen, dass durch die EU-Verordnung 2022/350 und durch die Beanstandungs- und Untersagungsverfügung gegen die Beklagte die Verbreitung von Programmen, für deren Produktion die Beklagte die streitgegenständlichen Räume gemietet hatte, in Deutschland auf nicht absehbare Zeit umfassend untersagt war.

Ohnehin hat die Berufung schon im Hinblick auf die wirksame ordentliche Kündigung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat hält an den Hinweisen zum Schriftformmangel fest, die mit dem Schriftsatz vom 10.03.2023 nicht in Frage gestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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