Mieter verlieren Berufung: Keine unbillige Härte trotz Versetzung und Trennung
In einem aktuellen Fall hat das Landgericht Bonn entschieden, dass die Berufung der Beklagten gegen ein Urteil des Amtsgerichts Königswinter keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Kernfrage des Falles drehte sich um die Räumung einer Wohnung aufgrund einer Eigenbedarfskündigung. Die Beklagten, also die Mieter, hatten versucht, sich auf eine unbillige Härte nach § 574 BGB zu berufen. Das Gericht fand jedoch, dass die Beklagten die Frist für einen Widerspruch gegen die Kündigung versäumt hatten und dass die von ihnen angeführten Härtegründe nicht ausreichend seien.
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Übersicht
Keine Aussicht auf Erfolg der Berufung
Das Landgericht Bonn stellte fest, dass die Berufung der Beklagten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Amtsgericht Königswinter hatte die Mieter bereits zur Räumung der Wohnung verurteilt. Die Beklagten hatten versäumt, innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten vor Beendigung des Mietverhältnisses einen Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen. Das Gericht betonte, dass es sich bei dieser Frist nicht um eine Ausschlussfrist handelt, sondern um eine Frist, die nur beachtet wird, wenn der Vermieter sie als Einrede geltend macht.
Versetzung und Trennung als Härtegründe?
Die Beklagten hatten argumentiert, dass die Versetzung eines der Mieter und die Trennung des Paares erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist eingetreten seien. Das Gericht fand diese Argumentation nicht nachvollziehbar. Die Beklagten hatten bereits vor der Eigenbedarfskündigung und dem Ablauf der Widerspruchsfrist angegeben, dass sie sich getrennt hatten und dass die Kinder unter den Streitigkeiten der Eltern gelitten hatten.
Gesetzliche Regelungslücke?
Die Beklagten hatten in ihrer Berufungsbegründung darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regelung keine Möglichkeit bietet, Härtegründe geltend zu machen, die erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist bekannt werden. Das Gericht stellte jedoch fest, dass dies im vorliegenden Fall irrelevant sei, da die Versetzung des Beklagten keine unbillige Härte darstelle.
Interessenabwägung und unbillige Härte
Das Gericht führte aus, dass unter einer „Härte“ alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen sind, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Im vorliegenden Fall sah das Gericht keine „nicht zu rechtfertigenden“ Nachteile, die den Beklagten durch einen Umzug drohen würden.
Einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung abgelehnt
Schließlich wurde der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurückgewiesen. Das Gericht betonte, dass die widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger sorgfältig gegeneinander abzuwägen seien und fand, dass eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht gerechtfertigt sei.
Härtegründe nach Ablauf der Widerspruchsfrist: Was tun, wenn die Frist versäumt wurde?
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Das vorliegende Urteil
Landgericht Bonn – Az.: 6 S 63/22 – Beschluss vom 11.08.2022
I. Die Kammer weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Königswinter vom 07.06.2022 (Az.: 10 C 6/22) nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
II. Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach §§ 707, 719 Abs. 1 S. 1 ZPO wird zurückgewiesen.
III. Den Beklagten wird eine Räumungsfrist bis zum 31.10.2022 bewilligt. Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
IV.
Es besteht Gelegenheit innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Vorsorglich wird auf die kostenrechtliche Privilegierung der Berufungsrücknahme hingewiesen. Statt vier Gerichtsgebühren fallen nur zwei Gerichtsgebühren an, wenn durch die Berufungsrücknahme eine förmliche Entscheidung vermieden wird (KV Nr. 1222 zum GKG).
G r ü n d e :
I.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat nach einstimmiger Überzeugung der Kammer offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs.1 ZPO).
Das Amtsgericht Königswinter hat die Beklagten im angegriffenen Urteil zu Recht zur Räumung der streitgegenständlichen Wohnung verurteilt. Anders als die Beklagten meinen, können sie sich vorliegend nicht im Nachhinein auf eine unbillige Härte i.S.v. § 574 BGB berufen, da sie ihren Widerspruch – trotz rechtzeitigen Hinweises i.S.v. § 568 Abs. 2 BGB auf die Möglichkeit des Widerspruchs und dessen Form und Frist durch die Kläger mit Schreiben vom 12.11.2021 (Anlage K 7) – nicht gemäß § 574b Abs. 2 S. 1 BGB spätestens zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses zum 31.01.2022 dem Vermieter gegenüber erklärt haben. Bei der Frist des § 574b Abs. 2 BGB handelt es sich nicht um eine Ausschlussfrist, sondern um eine der Verjährungsregelung vergleichbare Frist, deren Versäumung nur beachtet wird, wenn sie – wie hier – vom Vermieter als Einrede geltend gemacht wird (vgl. Staudinger/Rolfs (2021) BGB § 574b, Rn. 10).
Soweit sich die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung vom 11.07.2022 darauf berufen, dass die Härtegründe, nämlich die Versetzung des Beklagten zu 2) von X nach X1 und die Trennung der Beklagten erst nach Ablauf der
Widerspruchsfrist zum 30.11.2021 eingetreten seien, ist dies nicht nachvollziehbar. Bereits in ihrer Klageerwiderung vom 24.03.2022 haben die Beklagten vorgetragen, dass sie sich im Jahr 2018 – und damit lange vor der Eigenbedarfskündigung vom 28.07.2021 und dem Ablauf der Widerspruchsfrist – getrennt und die Kinder in den letzten Jahren sehr unter den Streitigkeiten ihrer Eltern in der weiter bestehenden häuslichen Gemeinschaft gelitten haben. Die von den Beklagten ebenfalls mit der Klageerwiderung zur Akte gereichte Versetzungsverfügung des Bundesamtes für das Y der A datiert bereits vom 30.11.2021 und es ist schon nicht plausibel, dass diese ohne vorherige Anhörung oder sonstige Beteiligung des Beklagten zu 2) ergangen ist.
Selbst wenn den Beklagten aber die Versetzung des Beklagten zu 2) von X nach X1 erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist des § 574 Abs. 2 BGB bekannt geworden sein sollte, führte dies im Ergebnis zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Der Fall, dass sich Härtegründe erst nach Ablauf der Widerspruchsfrist ergeben haben, ist gesetzlich nicht geregelt und es wird – wie die Beklagten in ihrer Berufungsbegründung zu Recht anführen – vertreten, diese Gesetzeslücke durch entsprechende Anwendung des in § 574 Abs. 3 BGB enthaltenen Rechtsgedankens zu schließen und dem Mieter ein Widerspruchsrecht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einzuräumen (vgl. Hartmann in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, BGB § 574b Form und Frist des Widerspruchs, Rn. 10; dagegen aber: Staudinger/Rolfs (2021) BGB § 574b, Rn. 15). Ob eine solche Analogie entgegen der Dispositionsfreiheit des Vermieters über die vermietete Wohnung gerechtfertigt ist, bedarf im vorliegenden Fall indes keiner Entscheidung, da die Versetzung des Beklagten zu 2) von X nach X1 bereits keine unbillige Härte i.S.v. § 574 BGB begründet.
Unter einer „Härte‟ i.S.v. § 574 BGB sind alle Nachteile wirtschaftlicher, finanzieller, gesundheitlicher, familiärer oder persönlicher Art zu verstehen, die infolge der Vertragsbeendigung auftreten können. Das allgemeine Bestandsinteresse des Mieters spielt hier keine Rolle (vgl. Hartmann in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, BGB § 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung, Rn. 19a, 21). Die Nachteile müssen dergestalt sein, dass sie „nicht zu rechtfertigen‟ sind. Die kündigungstypischen Belastungen (Mühe und Kosten der Wohnungssuche, des Umzugs, der Herrichtung der neuen Wohnung etc.) muss ein in durchschnittlichen Verhältnissen lebender Mieter hinnehmen. Andererseits muss keine sittenwidrige Härte vorliegen. Erforderlich ist, dass die Nachteile von einigem Gewicht sind. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller in der Person des Mieters liegenden
Härtegründe. In diese Bewertung sind auch diejenigen Gründe einzubeziehen, die bei isolierter Betrachtung keine Härte darstellen. Davon abgesehen, kann der Begriff der nicht zu rechtfertigenden Härte nicht allgemein formuliert werden, weil er sich erst aus einem Vergleich der wechselseitigen Interessen ergibt. Erforderlich ist eine auf den Einzelfall bezogene Interessenbewertung, die unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Vertragsparteien vorzunehmen ist (vgl. Hartmann in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, BGB § 574 Widerspruch des Mieters gegen die Kündigung, Rn. 26, 27). Solche „nicht zu rechtfertigen‟ Nachteile, die den Beklagten durch einen Umzug angesichts der Versetzung des Beklagten zu 2) drohen, sind weder von ihnen vorgetragen worden noch sonstwie ersichtlich. Die Beklagten sind mittlerweile seit ungefähr vier Jahren getrennt und in Anbetracht der Berufstätigkeit des Beklagten zu 2) ist davon auszugehen, dass der nicht berufstätigen Beklagten zu 1) auch bislang unter der Woche überwiegend die Kinderbetreuung und –erziehung oblegen hat. Die Beklagte zu 1) ist weiterhin nicht berufstätig und mittlerweile sind die drei Kinder der Beklagten allesamt schulpflichtig und keine betreuungsintensiven Kleinkinder mehr. Auf die Trennungssituation haben sich sowohl die Beklagte zu 1) als auch die Kinder mittlerweile – auch mithilfe der Familienberatungsstelle – einstellen können. Die Tochter der Beklagten besucht ein Gymnasium in X und nicht im lokalen Umfeld der streitgegenständlichen Wohnung. Für die beiden Söhne ist zu Beginn dieses Schuljahres ein Schulwechsel (bzw. die Einschulung) erfolgt, der nach der Auffassung des Amtsgerichts gerade sinnvoll für einen Umzug genutzt werden sollte. Dass der Beklagte zu 2) die Beklagte zu 1) nach seiner Versetzung nach X1 nur noch im Rahmen von Wochenendbesuchen bzw. in den Ferien unterstützen kann, rechtfertigt es vor diesem Hintergrund nicht, hier eine unbillige Härte i.S.v. § 574 BGB anzunehmen.
Der Zurückweisung der Berufung steht schließlich § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 bis 4 ZPO nicht entgegen. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung der Kammer auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist. Es handelt sich ersichtlich um eine Einzelfallentscheidung.
II.
Der Antrag der Beklagten auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem angegriffenen Urteil nach §§ 707, 719 Abs. 1 S. 1 ZPO ist zurückzuweisen.
Bei der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung sind die widerstreitenden Interessen von Schuldner und Gläubiger sorgfältig gegeneinander abzuwägen (OLG Köln, Beschluss vom 08.09.1986, 2 U 79/86, NJW-RR 1987, 189). Umstände, welche eine Abweichung von der gesetzlichen Ausgangswertung rechtfertigen, können nur bestehen, wenn die sowohl der endgültigen als auch der vorläufigen Vollstreckbarkeit zu Grunde liegende Annahme, der Vollstreckungstitel stehe im Einklang mit der Rechtsordnung, erschüttert wird. Voraussetzung hierfür ist, dass der durch die Einstellungsentscheidung zu sichernde Hauptrechtsbehelf Aussicht auf Erfolg bietet, da dem Gläubiger ein Zuwarten mit der Vollstreckung nur dann zugemutet werden kann, wenn die Möglichkeit der Abänderung oder Aufhebung des Titels besteht (BGH, Beschluss vom 30.01.2007, X ZR 147/06 Rn. 8, zitiert bei juris). Wie bereits unter der vorstehenden Ziffer ausgeführt, hat die vorliegende Berufung der Beklagten indes keine Erfolgsaussichten.
III.
Die den Beklagten im angegriffenen Urteil bewilligte Räumungsfrist wird – auf ihren Antrag vom 11.07.2022 hin – bis zum Ablauf des 31.10.2021 verlängert.
Eine weitere Verlängerung der Räumungsfrist nach § 721 Abs. 3 S. 1 ZPO kommt hingegen nicht mehr in Betracht. Im Rahmen des pflichtgemäß auszuübenden Ermessens hat das jeweils zuständige Instanzgericht, § 721 Abs. 4 S. 1 ZPO, am Sinn und Zweck der Vorschrift orientiert sorgfältig die Interessen des Gläubigers gegen die des Schuldners abzuwägen. Die Gewährung der Räumungsfrist ist im tenorierten Umfang auch unter Abwägung des Räumungsinteresses der Kläger gerechtfertigt, die mit ihren beiden Kleinkindern angesichts ihrer gegenwärtigen Wohnverhältnisse und dem von ihren Vermietern ausgeübten Druck selbst dringend auf einen Einzug in die streitgegenständliche Wohnung angewiesen sind.
Die Gewährung einer Räumungsfrist setzt voraus, dass keine zumutbare Umzugsmöglichkeit besteht, wobei allerdings die weitere Interessenabwägung auch in diesem Fall einer Räumungsfrist entgegenstehen kann. Die Unzumutbarkeit des Umzugs kann dabei auf zwei Faktoren beruhen: Entweder fehlt es bereits an einer zumutbaren Ersatzwohnung oder dem Schuldner ist der Umzug als solcher nicht zumutbar (vgl. Lehmann-Richter in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, ZPO § 721 Räumungsfrist, Rn. 19). Das Fehlen zumutbaren Ersatzwohnraums muss der Schuldner darlegen und beweisen. Hierfür ist es erforderlich, dass der Schuldner
nachweist, dass er sich hinreichend um Ersatzwohnraum bemüht hat (vgl. Lehmann- Richter in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2021, ZPO § 721 Räumungsfrist, Rn. 21). Die von den Beklagten dargelegten Bemühungen um Ersatzwohnraum genügen dazu nicht, da sie sich bei ihrer Wohnungssuche schon nicht allein auf den Bereich X2 und Umgebung, insbesondere X3 und X4, hätten beschränken dürfen. Jedoch ändert dies nichts daran, dass die Beklagten aktuell noch über keinen Ersatzwohnraum verfügen, sondern sich diesen trotz der bekannten Schwierigkeiten bei der Ersatzwohnraumbeschaffung für Familien mit mehreren Kindern erst noch beschaffen müssen, und der Umzug mit drei Kindern zudem einen größeren organisatorischen Aufwand bedeutet. Vor diesem Hintergrund ist trotz des gewichtigen Erlangungsinteresses der Kläger dem Antrag der Beklagten nach § 721 Abs. 3 S. 1 ZPO teilweise stattzugeben, wobei die Kammer einen Umzug unter Einbeziehung der Herbstferien bis Ende Oktober 2022 für die Beklagten und ihre drei schulpflichtigen Kinder auch in Anbetracht der von ihnen geschilderten Umstände für zumutbar hält.