AG Dresden, Az.: 141 C 6926/12, Urteil vom 03.04.2013
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 131,65 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.09.2012 zu zahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 131,65 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Insolvenzverwalterin von der beklagten Vermieterin der Insolvenzschuldnerin die Auszahlung eines Betriebskostenguthabens.
Zwischen der Insolvenzschuldnerin als Mieterin und der Beklagten als Vermieterin besteht ein Nutzungsverhältnis über eine Wohnung im Anwesen … Straße … in Dresden.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 29.04.2011, Az. 534 IN 632/11, wurde über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und die Klägerin zur Insolvenzverwalterin bestellt. Sie erklärte gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 24.06.2011 gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, dass Nutzungsentgelte aus dem Nutzungsverhältnis über die Wohnung nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist im Insolvenzverfahren nicht als Masseverbindlichkeiten geltend gemacht werden können.
Unter dem 05.09.2012 rechnete die Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin über die Heiz- und Betriebskostenvorauszahlungen des Jahres 2011 ab. Die Abrechnung ergab ein Guthaben von 315,97 EUR. Hiervon zahlte die Beklagte am 12.10.2012 lediglich einen Teilbetrag von 184,32 EUR an die Insolvenzmasse aus, obwohl die Klägerin mit Schreiben vom 24.09.2012 die Überweisung des gesamten Guthabens auf das von ihr eingerichtete Insolvenztreuhandkonto verlangt hatte.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 131,65 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.09.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, dass die Erklärung der Klägerin gemäß § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO einer Freigabe der Wohnung gleichkomme, ab deren Wirksamwerden die Insolvenzschuldnerin – spiegelbildlich zur Enthaftung der Masse von Ansprüchen der Vermieterin aus dem Mietverhältnis – die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihre Ansprüche aus dem Mietverhältnis zurück erlangt habe. Zudem sei nicht geklärt, ob die Insolvenzschuldnerin möglicherweise Arbeitslosengeld II beziehe, so dass sie in Bezug auf das Betriebskostenguthaben Pfändungsschutz genieße.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf die von ihren Prozessbevollmächtigten zur Akte gereichten Schriftsätze samt Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig und begründet. Aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin hat die Klägerin gemäß § 80 Abs. 1 InsO das Verwaltungs- und Verfügungsrecht an dem insgesamt in die Insolvenzmasse fallenden mietvertraglichen Anspruch auf Auszahlung des Betriebskostenguthabens für 2011 erlangt, der nach der von der Beklagten am 12.10.2012 geleisteten Teilzahlung in Höhe von restlichen 131,65 EUR nicht gemäß § 362 Abs. 1 BGB erfüllt ist. Soweit die Beklagte einwendet, es sei nicht geklärt, ob die Insolvenzschuldnerin möglicherweise ALG II-Empfängerin ist, ergeben sich hieraus die Voraussetzungen für einen Pfändungsschutz gemäß § 36 InsO bzw. § 54 Abs. 4 SGB I nicht. Hierfür müsste die Beklagte vortragen (und nach dem Schriftsatz der Klägerin vom 19.12.2012 auch unter Beweis stellen), dass die Insolvenzschuldnerin bei Fälligkeit des Anspruchs auf Auskehr des Betriebskostenguthabens Arbeitslosengeld II bezogen hat.
An dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht der Klägerin in Bezug auf das Betriebskostenguthaben hat sich durch deren Enthaftungserklärung vom 24.06.2011 nichts geändert. Die gegenteilige Auffassung des Amtsgerichts Göttingen (vgl. Urteil vom 18.06.2009, 21 C 33/09, NZM 2009, 617 ff.) vermag mit Blick auf den Wortlaut und die Systematik des Gesetzes nicht zu überzeugen. Im Unterschied beispielsweise zur Erklärung des Insolvenzverwalters nach § 35 Abs. 2 InsO beschränkt sich die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ausdrücklich auf Ansprüche gegen die Insolvenzmasse und schließt Aktiva der Insolvenzmasse gerade nicht mit ein. Auch die Intention von § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, durch die Enthaftungserklärung einerseits dem Insolvenzschuldner seine Wohnung durch Beseitigung des Kündigungsrechts des Verwalters zu erhalten und andererseits die Entstehung weiterer Masseverbindlichkeiten zu verhindern, gebietet eine Schmälerung der Masse um Ansprüche auf Auszahlung von Betriebskostenguthaben nicht (vgl. Flatow, NZM 2011, 607, 609 f., und Tetzlaff, jurisPR-InsR 19/2009 Anm. 6 m.w.N.).
Der Zinsanspruch ergibt sich im aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfang aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO. Weil die in der instanzrechtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum umstrittene Frage, welche Auswirkungen die Enthaftungserklärung nach § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters in Bezug auf Ansprüche auf Auszahlung eines Betriebskostenguthabens hat, in der obergerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt ist, lässt das Gericht die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.