LG Berlin, Az.: 65 T 224/14
Beschluss vom 16.09.2014
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 08.09.2014 – 18 C 1005/14 unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Der Antragsgegnerin wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt,
an der hofseitigen Fassade des Gartenhauses im Wohnobjekt … 74, … Berlin die Arbeiten zum Anbau der Balkone im 2. bis 4. Obergeschoss fortzuführen.
Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 4.000,00 EUR.
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird in entsprechender Anwendung des § 313a Abs. 1 ZPO gemäß §§ 567 Abs. 1, 2, 574 ZPO abgesehen.
II.
1. Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
a) Der Antragsteller und Beschwerdeführer (nachfolgend: der Antragsteller) hat gegen die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (nachfolgend: die Antragsgegnerin) aus § 862 Abs. 1 BGB in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang einen Anspruch auf Unterlassung der weiteren Arbeiten zum Anbau der Balkone im 2. bis 4. Obergeschoss. Ein weiter gehender Anspruch besteht nicht.
Nach § 862 Abs. 1 BGB kann der Besitzer, der in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen; sind weitere Störungen zu erwarten, kann er auf Unterlassung klagen. Die Definition des Begriffs der verbotenen Eigenmacht knüpft bei Besitzentziehung und –störung nach § 858 Abs. 1 BGB an den fehlenden Willen des Besitzers an. Die Widerrechtlichkeit ist in beiden Fällen ausgeschlossen, wenn das Gesetz die Entziehung oder Störung gestattet.
Eine Störung des Besitzes ist bei jeder Beeinträchtigung der Sachherrschaft unterhalb der Schwelle des Sachentzugs gegeben. Zu den möglichen Eingriffen gehören Störungen der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten aller Art, im Bereich des Wohnraummietrechts etwa Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen, Einschränkungen insbesondere der Privatheit der Wohnung durch das Aufstellen eines Baugerüstes (Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, BGB, 2012, § 858 Rn. 14, m. w. N.).
Anerkannt ist, dass unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 906 BGB nur erhebliche Beeinträchtigungen der Besitzausübung Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach den §§ 858ff. BGB auslösen können, während unerhebliche Beeinträchtigungen des Gebrauchs hinzunehmen sind (vgl. BGH Urteil v. 29.10.1954 – V ZR 53/53, in: NJW 1955, 19; LG Berlin Urteil v. 26.2.2013 – 63 S 429/12, in: MDR 2013, 643; MietRB 2013, 138; Beschluss v. 7.8.2012 – 63 T 118/12, in: ZMR 2013, 113; Beschluss v. 12.3.2012 – 63 T 29/12, in: ZMR 2012, 719; AG Charlottenburg Urteil v. 13.2.2013 – 214 C 234/12, in: Grundeigentum 2013, 625; AG Kassel Urteil v. 16.5.1994 – 432 C 1145/94, in WuM 1994, 610; Börstinghaus in: jurisPR-MietR 15/2012 Anm. 1; Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, 2012, § 862 Rn. 2, m. w. N.).
Nach diesen Maßstäben ist nach dem durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten Vortrag des Antragstellers eine Besitzstörung durch die bevorstehende „Anarbeitung” der Balkone an die Fassade vor den vom Antragsteller gemieteten Räumlichkeiten und den darüber befindlichen Geschossen gegeben.
Wenngleich der Vortrag des Antragstellers (auch) insoweit sehr knapp ist, so ist im Zusammenhang mit den eingereichten Fotos offenkundig (vgl. § 291 ZPO), dass die Befestigung der beiden Balkone im 2. OG, unmittelbar vor den Räumlichkeiten des Antragstellers und im 3. bis 4. Obergeschoss mit einer erheblichen Beeinträchtigung der im Besitz des Antragstellers stehenden Räumlichkeiten verbunden ist. Dies ergibt sich hier bereits aus dem Umstand, dass die unmittelbar nebeneinander liegenden Balkone zum Zwecke der Befestigung ebenso betreten werden müssen wie das vor den Fenstern der Wohnung des Beklagten stehende Baugerüst. Letzteres gilt weiter gehend für die Ausführung der Arbeiten im 3. und 4. Obergeschoss, nicht hingegen das 1. Geschoss. Die Möglichkeit des Einblicks in die Wohnung vom Baugerüst aus stört den Antragsteller in seinem Besitz an der Wohnung unter dem Gesichtspunkt ihrer Privatheit. Hinzu kommt, dass eine immissionsfreie „Anarbeitung” der Balkone an die Fassade (vgl. Modernisierungsankündigung v. 17. März 2014) nicht vorstellbar ist. Die Beeinträchtigung durch Immissionen betrifft mangels konkreten Vortrags des Antragstellers jedoch vordergründig Arbeiten, die unmittelbar vor seinen Räumlichkeiten, also im 2. Obergeschoss ausgeführt werden, nicht hingegen das 1. sowie das 3.- 4 Obergeschoss.
Die Widerrechtlichkeit einer Besitzstörung entfällt nach §§ 858 Abs. 1, 862 Abs. 1 BGB nur dann, wenn das Gesetz die Störung gestattet, wobei gesetzliche Gestattungen sich aus jeder Rechtsnorm ergeben können, vgl. Art. 2 EGBGB; die Rechtsnorm muss allerdings die eigenmächtige Störung gestatten; Normen, die lediglich einen entsprechenden Anspruch gewähren, rechtfertigen nicht die eigenmächtige Durchsetzung. Sie sind – im Zweifel – durch Beschreiten des Rechtsweges durchzusetzen (vgl. Joost: in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 11; Gutzeit in: Staudinger, 2012, § 858 Rn. 22; BGH Urteil v. 27.04.1971 – VI ZR 191/69, in WM 1971, 943). § 555d BGB mag der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Duldung der hier gegenständlichen Maßnahmen geben; der Regelung lässt sich hingegen nicht – weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck – die Gestattung einer eigenmächtigen Störung entnehmen. Eies ließe sich vielmehr nicht mit dem Zweck des Regelungsgefüges der §§ 555b ff. BGB vereinbaren.
Hier ist der Eintritt der vorgenannten weiteren Störungen auch tatsächlich zu besorgen, da die Antragsgegnerin auch die bisherigen Arbeiten ohne bzw. gegen den Willen des Antragstellers begonnen und durchgeführt hat; es ist daher von einer Fortführung der Arbeiten entsprechend der Modernisierungsankündigung vom 17. März 2014 auszugehen (vgl. noch weiter gehend: LG Berlin, Beschluss v. 1.3.2013 – 63 T 29/13, in: NZM 2013, 465).
b) Ein weiter gehender Anspruch des Antragstellers besteht hingegen nicht.
aa) Die weiteren im Antrag zu 1) genannten Maßnahmen, deren Durchführung der Antragsteller untersagt sehen möchte, sind nach seinem Vortrag bereits durchgeführt und daher bereits Gegenstand des Antrages zu 2).
bb) Der Antragsteller hat unter den hier gegebenen Umständen keinen Anspruch auf Beseitigung der bereits montierten Balkonteile und – damit einher gehend – des Gerüstes. Unabhängig davon, dass der Antragsteller dies selbst konkret darstellt, sondern die eidesstattlich versicherten, allgemein dargestellten Arbeiten erst durch die eingereichten Fotos konkretisiert werden, ist eine Verurteilung der Antragsgegnerin zur Demontage bzw. Rückbau aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung hier ausgeschlossen. Auf die zutreffenden Feststellungen des Amtsgerichts wird nach eigener rechtlicher Prüfung Bezug genommen. Die Argumente des Antragstellers in der Beschwerde tragen keine andere Entscheidung. Das Begehren des Antragstellers geht mit dem Rückbauverlangen die Balkone betreffend bereits über eine einfache Vorwegnahme der Hauptsache hinaus, da dieses auch Belange Dritter betrifft, nämlich die anderer Mieter des Gebäudes (vgl. insoweit auch Landgericht Berlin Urteil v. 13.11.2013 – 18 S 99/13, in: Grundeigentum 2014, 60). Der Antragsteller ist durch die bereits errichteten Teile der Balkone der Mieter anderer Wohneinheiten auch nicht (erheblich) in dem Besitz der ihm überlassenen Räumlichkeiten beeinträchtigt; ein Anspruch aus § 862 Abs. 1 BGB die montierten Balkonteile betreffend nicht gegeben. Die Verknüpfung wird hier – durch die Besonderheiten – lediglich über das Gerüst/Ständerwerk hergestellt, auf das nach den oben dargestellten Maßstäben ein Anspruch auf Rückbau grundsätzlich bestehen kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller nicht einmal durch die bereits errichteten Teile des Balkons zu seiner Wohnung erheblich in seinem Besitz beeinträchtigt ist, denn aus den von ihm eingereichten Fotos ergibt sich auch, dass das Balkongerüst als solches durch die Fenster nicht einmal sichtbar sein kann, weil es sich unterhalb des Fensterbrettes bzw. der Fensterbrüstung befindet.
Entscheidend ist hier aber der Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit unter Berücksichtigung der vom Amtsgericht zutreffend zugrunde gelegten Umstände, zu denen hinzutritt, dass allenfalls eine Besitzstörung vom Gerüst ausgehend feststellbar ist, eine Beseitigung des Gerüstes infolge der bislang wohl fehlenden Befestigung der Balkone aber die Sicherheit von Personen beeinträchtigen kann.
Die Antragsgegnerin hat die Maßnahmen nicht während, sondern erst nach dem ihr bekannt gegebenen Urlaub des Antragstellers begonnen. Der Antragsteller hatte somit Kenntnis vom Beginn der Maßnahmen, deren Durchführung aber bis zu ihrem nahezu vollständigen Abschluss abgewartet, um nunmehr den Rückbau des Gerüstes und der weit gehend vollständig errichteten Balkone zu verlangen. Infolge seines Abwartens wäre ein solcher Rückbau mit einem beträchtlich erhöhten Kostenaufwand – bis hin zu einer Verdoppelung der Kosten – verbunden (vgl. insoweit auch Wertungen in BGH Beschluss v. 22.01.2014 – VIII ZR 135/13, in: NJW 2014, 1881), dies nicht etwa wegen des Abbaus des Gerüstes, von dem allein eine Besitzstörung ausgeht, sondern wegen des damit verbundenen Erfordernisses der Sicherung der Balkone durch deren Abbau.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nach §§ 574 Abs. 1 Satz 2, 542 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.